Forschung — Aktuell
Kann die Arve mit dem Klimawandel Schritt halten?
Steigende Temperaturen und veränderte Niederschläge wirken sich ungünstig auf die Zukunftsfähigkeit alpiner Ökosysteme aus. Denn diese Veränderungen stellen in einigen Fällen eine grosse Herausforderung für die Konkurrenzfähigkeit von Organismen dar oder bringen diese sogar an ihre physiologischen Grenzen. Daher müssen Arten ihrer ökologischen Nische folgend über ihr derzeitiges Verbreitungsgebiet hinaus wandern oder sich an die veränderten Klimabedingungen anpassen, damit sie lokal nicht aussterben.
Diese evolutiven Prozesse werden zum Teil durch das Anpassungspotenzial bestimmt, über das die Arten verfügen. Entscheidend ist insbesondere, ob diese vorteilhafte Genvarianten besitzen, die ihnen bei der klimabedingten Anpassung helfen. Darüber hinaus kann eine Diskrepanz zwischen der Generationszeit und der Geschwindigkeit des Klimawandels zu einer verzögerten Anpassung führen.
Wenn man weiss, wie die fitnessrelevanten Genvarianten und das lokale Klima zusammenhängen, lässt sich abschätzen, inwieweit eine bestimmte Art aus genomischer Sicht anfällig ist gegenüber dem gegenwärtigen Klimawandel und wie ihre genomische Reaktion auf die zukünftigen Klimabedingungen sein wird.
Die Arve (Pinus cembra) ist eine symbolträchtige Schlüsselart der Waldgrenze (Abb. 1) in den europäischen Alpen und Karpaten. Ihr Verbreitungsgebiet ist vor allem in den Randgebieten fragmentiert, doch zwischen den verschiedenen Populationen gibt es einen hohen Genfluss, weil die Pflanzen windbestäubt sind. Die Arve hat eine lange Generationszeit, da sie erst nach 40 bis 60 Jahren fortpflanzungsfähig wird. Ihr Vorkommen in heterogenen Lebensräumen
macht die Art zu einem idealen Fallbeispiel, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Anpassungsfähigkeit alpiner Arten mit langen Generationszeiten
zu untersuchen.
Zu diesem Zweck rekonstruierten wir vergangene und aktuelle Klimabedingungen von sieben Arvenpopulationen und untersuchten die genomischen Grundlagen der Klimaanpassung. In jeder Population beprobten wir je eine adulte und juvenile Altersgruppe (=Kohorte) in niedriger Höhenlage im Zentrum der Höhenverbreitung und eine juvenile Kohorte im Bereich der Waldgrenze an der Besiedlungsfront (20 Individuen pro Kohorte; Abb 2).
Über den Preisträger
Am 27. Januar 2024 konnte in Glarus zum fünften Mal der Oswald Heer-Wissenschaftspreis verliehen werden.Das Preisgeld stammte wie bisher vom Walters-/ WildFonds. Die Preisausschreibung und Evaluation von jungen Forschenden sowie die Organisation und Finanzierung der Preisfeier in Glarus erfolgte wiederum durch die Naturforschenden Gesellschaften Glarus und Zürich und durch den Historischen Verein Glarus.
Mit dem Preis wurde der Biologe Benjamin Dauphin (*1990 in Pontoise, Frankreich) für seine Publikation «Genomic vulnerability to rapid climate warming in a tree species with a long generation time» ausgezeichnet. Die Arbeit wurde an der Eidg. Forschungsanstalt WSL Birmensdorf u.a. unter Mitwirkung von Christian Rellstab und Felix Gugerli ausgeführt.
Benjamin Dauphin studierte von 2008-2011
Biologie und Erdwissenschaften (Bachelor) an der Université de Cergy-Pontoise nordwestlich von Paris. Dazwischen folgte ein Studienaufenthalt an der Université de Montréal (CA). Von 2011-2012 absolvierte er den Master-Studiengang in Pflanzenphysiologie und Ökologie an der Université de Neuchâtel und erwarb anschlies-send von 2013-2014 das Zertifikat in Geomatics an der Université de Genève. Von 2014-2017 folgte das Doktorats-Studium in Biologie an der Université de Neuchâtel. Seit 2014 war Benjamin Dauphin Mitarbeiter, PhD-Assistent, Post-Doc-Forscher an verschiedenen Instituten der Schweiz, der USA und ab 2018 an der WSL in Birmensdorf. Seit 2024 arbeitet er als permanenter wissenschaftlicher Mitarbeiter an der WSL und untersucht mit genomischen Werkzeugen die symbiotische Interaktion von Pflanzen und Pilzen. Er erhielt bereits 2013, 2017 und 2018 Forschungspreise der Schweiz und Kanadas. Dank verschiedener Forschungskredite entstanden bisher 21 Publikationen in Peer-review-Journals mit dem Preisträger als Erst- oder Mitautor.
Conradin A. Burga
Abb. 1: Verschiedene Generationen von Arven bilden einen lückenhaften, altersdurchmischten Bestand in einem dynamischen Lebensraum oberhalb des Aletschgletschers (Wallis, Schweiz). (Foto: F. Gugerli)
Da man davon ausgeht, dass die natürliche Selektion bei Waldbäumen in den frühesten Lebensstadien am stärksten wirkt, stellten wir die genomische Zusammensetzung adulter und juveniler Bäume in jeder Population zeitlich in Bezug zu den jeweiligen Klimabedingungen. Damit ermittelten wir die historischen Veränderungen der genomischen Zusammensetzung als Reaktion auf die bisher beobachteten Klimaveränderungen über nahezu zwei Jahrhunderte.
Anschliessend verglichen wir diese realisierten Veränderungen mit den modellierten Veränderungen, die erforderlich sind, damit die Art mit den vorausgesagten wärmeren und trockeneren Bedingungen zurechtzukommen wird (Abb. 2 und 3). Dadurch konnten wir den potenziellen Anpassungsrückstand der Arve unter verschiedenen Klimaszenarien abschätzen und so die Anfälligkeit der Art gegenüber zukünftigen Klimaveränderungen bewerten.
Grosse genetische Vielfalt
Aufgrund der enormen Genomgrösse der Arve (29,3 Milliarden Basenpaare; fast zehnmal mehr als beim menschlichen Genom) verwendeten wir einen Sequenzierungsansatz, der auf etwa 25 000 Gene zielte und damit den grossen Teil des Genoms, der nicht für Gene kodiert, ausser Acht liess. Wir fanden 167 438 variable Stellen, sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen (englisch abgekürzt: SNPs) in den 420 Individuen der sieben untersuchten Populationen. Die genetische Vielfalt war hoch und in allen Populationen und Kohorten ähnlich. Wir fanden keine Verringerung der genetischen Vielfalt bei Jungbäumen in hohen Lagen im Vergleich zu den tiefer gelegenen Juvenilen, und auch keine Verringerung der Vielfalt bei Jungbäumen im Vergleich zu adulten Bäumen.
Die paarweise genetische Differenzierung zwischen den Standorten war gering, was weitreichenden Genfluss annehmen lässt, und korrelierte signifikant mit der geografischen Entfernung zwischen den Populationen. Dies deutet darauf hin, dass der Genfluss dennoch räumlich begrenzt ist.
Abb. 2: Schematische Darstellung der Probenahme innerhalb der sieben Populationen (siehe Karte oben links) unter Berücksichtigung der Höhen- und Zeitkontraste. Die Altersangaben beziehen sich auf Schätzungen anhand von Jahrringanalysen (adulte Bäume) und des jährlichen Höhenzuwachses (juvenile Bäume).
Identifizierung relevanter Marker
Um einen Einblick in die anpassungsrelevante genomische Variation der Kohorten zu erhalten, suchten wir nach statistischen Zusammenhängen zwischen der genomischen Zusammensetzung der
Populationen und zwei wichtigen Klimavariablen (mittlere Jahrestemperatur und jährliche Niederschlagssumme), welche die Bedingungen während der Etablierungszeit der (damals bzw. heute) jungen Bäume beschreiben.Mit Hilfe solcher Genotyp-Umwelt-Assoziationen fanden wir 204 SNPs in 129 Genen, die sowohl beim Höhen- wie auch beim Zeitvergleich herausstachen. Die biologischen Funktionen dieser Gene stehen teils in Zusammenhang mit abiotischen Bedingungen wie Wasserknappheit, Hitzestress oder Lichtintensität. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass heute junge Bäume bereits eine genetische Anpassung an ein wärmeres und trockeneres Klima aufweisen (im Vergleich zu den durchschnittlich 170 Jahre alten Bäumen). Dies unterstreicht, wie prägend klimabedingter Stress für junge Bäume ist, sowohl in niedrigen wie auch hohen Lagen.
Abb. 3: Schema zur Bewertung der genomischen Anfälligkeit gengenüber zukünftigen Klimabedingungen. Jeder graue Kreis stellt eine Population mit ihrer genomischen Zusammensetzung und ihren Klimabedingungen dar. Die gerade Linie zeigt die modellierte «optimale» genomische Zusammensetzung entlang eines Klimagradienten, hier am Beispiel der Temperatur. Nach diesem Modell muss eine Population, die derzeit bei einer mittleren Jahrestemperatur von 10 °C wächst (blauer Punkt), bei einem Temperaturanstieg von 2 °C (roter Punkt) ihre genomische Zusammensetzung um 0,4 Einheiten ändern.
Genomische Anpassung
Wenn man versteht, wie Klimaveränderungen in der Vergangenheit die lokale Anpassung vorangetrieben haben, kann dies Aufschluss über die genomische Anfälligkeit von Populationen gegenüber zukünftig veränderten Klimabedingungen geben. Um die genomischen Veränderungen auf lokaler Ebene zu quantifizieren, untersuchten wir in jeder Population die Unterschiede in der genomischen Zusammensetzung zwischen den adulten und den beiden juvenilen Kohorten (Abb. 2). Wir ermittelten eine durchschnittliche Veränderung der genomischen Zusammensetzung zwischen den Alterskohorten von 0,96 % pro Generation (40 Jahre) bei den 504 Temperatur-assoziierten SNPs und 0,91% bei den 884 Niederschlagassoziierten SNPs. Simulationen untermauerten einerseits unsere empirisch beobachteten geringen Szenario (RCP4.5), das Massnahmen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs vorsieht. Bei diesem Szenario fanden wir, dass sich die genomische Veränderung mindestens dreimal so stark verändern müsste wie im historischen Zeitraum (Abb. 4). Wie erwartet war dieser Trend unter einem Szenario ohne Abhilfemassnahmen (RCP8.5) verschärft, so dass eine fünfmal grössere genomische Veränderung nötig wäre. Die genomische Anfälligkeit für Niederschlag-assoziierte Marker war hingegen wesentlich geringer, bedarf aber immer noch einer fast doppelt so hohen Veränderung der genomischen Zusammensetzung als in der Vergangenheit.
Abb. 4: Genomische Anfälligkeit von Arven in juvenilen Kohorten von niedrigen Höhenlagen für die zukünftige Durchschnittstemperatur unter zwei verschiedenen Klimaszenarien (RCP4.5 und RCP8.5). Die vertikalen Linien stellen den Standardfehler des Mittelwerts (schwarze Punkte) dar. Die horizontale Linie zeigt die in der Vergangenheit realisierten genomischen Veränderungen in anpassungsrelevanten Stellen des Genoms.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Bäume sind das Grundgerüst vieler terrestrischer Ökosysteme und erbringen wichtige ökologische,
wirtschaftliche und gesellschaftliche Leistungen. Aufgrund ihrer langen Lebensdauer und Generationszeit sowie ihrer begrenzten Wanderungsfähigkeit sind sie jedoch durch den raschen Klimawandel gefährdet, was in einem zukünftigen Klima zu schlecht angepassten Populationen führen könnte.
In dieser Studie haben wir Jahrring-, Klimaund Genomdaten von Arven-Populationen kombiniert und konnten darlegen, dass junge Bäume bereits Anzeichen einer Anpassung an die derzeitigen wärmeren und trockeneren Bedingungen zeigen, aber dennoch eine hohe genomische Anfälligkeit gegenüber zukünftigen Klimabedingungen aufweisen. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Arten mit langen Generationszeiten Schwierigkeiten haben könnten, mit dem raschen Klimawandel Schritt zu halten.
Veränderungen und stimmten andererseits mit der Erwartung überein, dass viele Gene mit jeweils geringer Wirkung daran beteiligt sind, dass sich die Bäume an Temperatur- und Niederschlagsveränderungen anpassen können.
Abschliessend ermittelten wir die genomische Anfälligkeit, indem wir die theoretische Veränderung der genomischen Zusammensetzung berechneten, die erforderlich ist, damit die Bäume auch im zukünftigen Klima überleben können (Abb. 3). Diese berechnete Anfälligkeit verglichen wir mit den in der Vergangenheit beobachteten Veränderungen.
Wir bewerteten die genomische Anfälligkeit jeder juvenilen Kohorte in niedriger Höhenlage für Temperatur und Niederschlag unter zwei Szenarien von Treibhausgaskonzentrationen (Representative
Concentration Pathway [RCP] 4.5 und RCP8.5, Referenzzeitraum 2061-2080). Im Falle der Temperatur deuten unsere Ergebnisse auf eine erhebliche genomische Anfälligkeit hin, selbst für ein mittleres
Benjamin Dauphin, Christian Rellstab und Felix Gugerli
Die Autoren sind wissenschaftliche Mitarbeiter an der WSL in Birmensdorf.
Literatur
Dauphin B. et.al. 2021. Genomic vulnerability to rapid climate warming in a tree species with a long generation time. Global Change Biology, 27(6), 1181-1195.
Rellstab C. et.al. 2019. Using transcriptome sequencing and pooled exome capture to study local adaptation in the giga-genome of Pinus cembra. Molecular Ecology Resources, 19(2), 536-551.
Finanzierung Diese Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert (31003A_152664/1).
Titel
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