Forschung —  Physik im Alltag

Vom Badewannentango zur Stradivari-Geige

Wir singen in der Badewanne, weil unsere Stimme dort so kräftig und voll wirkt, wie wir sie sonst nie hören. Der vorliegende Artikel zeigt, was die Physik hinter diesem Phänomen ist und was dies mit wertvollen Musikinstrumenten oder Konzertsäälen zu tun hat.

Der bekannte österreichische Schlagersänger Peter Alexander (1926-2011) hat das Thema 1962 mit seinem Badewannentango auf unvergessliche Weise vertont (Alexander 1962). Analysiert man das Phänomen, wird man zuerst an den Umstand denken, dass im Badezimmer nur wenige schallabsorbierende Gegenstände, wie beispielsweise Vorhänge, vorhanden sind. Weiter sind der Boden und die Wände mit Platten belegt, die den Schall besonders gut reflektieren. Damit scheint es klar, wie das Phänomen zustande kommt. Ich möchte zeigen, dass dies wohl der Beginn einer korrekten Analyse ist, jedoch noch keine ausreichende Erklärung des Phänomens. Dafür vereinfache ich die dreidimensionale Badezimmer-Aufgabe zuerst auf eine Dimension.

Abb. 1: Schwingungsformen einer Saite mit der Länge a. Dargestellt sind die maximalen Auslenkungen der Saite: a) Grundschwingung ohne Knoten; b) erste Oberschwingung mit einem Knoten; c) zweite Oberschwingung mit zwei Knoten. (Bild: F. Gassmann)

Schwingungen einer Violinsaite

Die Violinsaite entspricht der Luft im Badezimmer, ist jedoch greifbarer und ihre Bewegungen
sind besser sichtbar. Gemeinsam sind beiden die sogenannten Randbedingungen: Senkrecht zu den Wänden des Badezimmers und an den Befestigungspunkten der Saite ist die Geschwindigkeit
immer null.

Man kann die Saite zum Schwingen anregen mit einer Stimmgabel oder einem Lautsprecher, der via einen Verstärker an einen Tongenerator angeschlossen ist. Der tiefstmögliche Ton, der angeregt werden kann, wird Grundton genannt und er entspricht der in Abb. 1a dargestellten Grundschwingung. Mathematisch sind die beiden gezeigten Lagen der Saite je eine halbe Periode einer Sinusfunktion. Die Amplitude der Schwingung wird am grössten, wenn die Anregungsfrequenz genau der Eigenfrequenz der Saite entspricht, also wenn Resonanz vorliegt (Gassmann 2023). Für die k. Oberschwingung mit k Knoten muss die Anregungsfrequenz das (k+1)-Fache der Grundfrequenz betragen (vgl. Abb. 1b und 1c). Wir finden also Resonanzen bei den Frequenzen fn = nf1, wenn f1 die Grundfrequenz und n eine natürliche Zahl (n = 1, 2, 3, 4, …) ist. Ist die Saite auf das Kammer-a abgestimmt, wären die niedrigsten 4 Resonanzen also bei 440, 880, 1320 und 1760 Hertz (Hz).

Mit dem Ansatzpunkt des Geigenbogens kann man gezielt die Grundschwingung oder eine bestimmte Oberschwingung anregen. Mit den Fingern lassen sich die Saiten auf die Stege drücken,
was die Saitenlänge verkürzt. Die Grundfrequenz kann so in kleinen, genau definierten Schritten, erhöht werden.

Abb. 2: Riesenspiralfeder aufgehängt am Dach des Eingangskorridors zum Northern Norwegian
Science Center in Tromsø (Norwegen). Die Periode der etwa 10. Oberwelle beträgt rund 1 Sekunde.
Die Feder wird durch einen Elektromotor, der regelmässige Bewegungen ausführt, in Schwung
gehalten. (Bild: F. Gassmann)

Von Schwingungen zu 1-, 2- und 3-dimensionalen Wellen

Die in Abb. 1 gezeigte Bewegung nennt man auch stehende Welle, weil keine Fortpflanzungsrichtung
erkennbar ist, wie bei einer Welle auf einem See. Tatsächlich ist es aber dasselbe Phänomen: Eine stehende Welle ist die Überlagerung zweier gegeneinander laufender Wellen. Sie entsteht dann, wenn eine Welle reflektiert wird und sich die ursprüngliche Welle mit ihrer Reflexion überlagert (man sagt auch interferiert).

Wird eine Welle wie in Abb. 1 zwischen zwei Reflexionspunkten oder -wänden eingesperrt, entsteht eine stehende Welle. Wird diese im genau passenden Takt angeregt, wird sie nach jeder Reflexion
verstärkt und ihre Amplitude kann sehr gross werden, was man als Resonanz bezeichnet (vgl. Gassmann 2023). Schwingungen sind also lediglich spezielle Wellen und deshalb verwenden wir im Folgenden vielfach den allgemeineren Begriff Welle für das Phänomen.

Aus dem Newtonschen Bewegungsgesetz (Kraft gleich Masse mal Beschleunigung) und dem Federgesetz (Kraft ist proportional zur Auslenkung) ergibt sich durch Elimination der Kraft die Schwingungsgleichung für einen Federoszillator. Die Lösungen sind die gut bekannten Sinusschwingungen, die auch ein Fadenpendel ausführt. Zu einer wandernden Welle kommt man, indem man viele kleine Federoszillatoren hintereinanderhängt, also eine lange Reihe Feder-Masse-Feder-Masse-Feder-Masse-Feder-Masse-… herstellt. Lenkt man irgendwo
eine Masse aus ihrer Ruhelage aus und lässt sie los, pflanzen sich wellenförmige Störungen in beide Richtungen fort.

Die Bewegungsgleichung für diese Anordnung kann man ebenfalls durch Elimination der Kräfte bestimmen. Sie heisst Wellengleichung und ihre Lösungen sind Wellenfunktionen, also Funktionen des Ortes und der Zeit.

Diese Wellenfunktionen müssen die Wellengleichung erfüllen und dies heisst in Worten ausgedrückt: Ihre zweite Ableitung nach der Zeit muss proportional zu ihrer zweiten Ableitung nach dem Ort sein. Die Proportionalitätskonstante ist das Quadrat der Schallgeschwindigkeit c im entsprechenden Medium (Saitendraht, Feder, Platte, Luft). Für ein-, zwei- oder dreidimensionale Wellen gilt dieselbe Wellengleichung und die Resonanzfrequenzen f sind jedesmal f = (c/2) k. k ist der Kehrwert einer Länge und kann unendlich viele Werte annehmen.

Für den oben gezeigten eindimensionalen Fall einer Violinsaite ist k = ka = n/a, wobei a die Saitenlänge ist. Für n kann jede natürliche Zahl eingesetzt werden: n = 1,2,3,4… Man spricht bei n = 1 von der Grundwelle f1 = c/2a und bezeichnet alle Wellen mit n>1 als Oberwellen fn = nf1 . Dieselbe Grundwellenformel habe ich auch in meinem Artikel über Miniaturantennen und Orgelpfeifen in der VJS 1|2023 verwendet. Abb. 2 zeigt eine besonders eindrückliche stehende Welle einer riesigen Spiralfeder in einem norwegischen Wissenschafts-Zentrum.

Für den zweidimensionalen Fall einer rechteckigen Membran mit Seitenlängen a und b haben
wir ka = 1/a und kb = 1/b und wir müssen die beiden k›s nach dem Satz von Pythagoras zusammensetzen: knm = √{(nka)2 + (mkb)2}. n und m sind wieder natürliche Zahlen, die gleich oder verschieden sein können. Man bezeichnet f11 = (c/2) k11 als Grundmode und alle übrigen Wellenfunktionen mit Frequenzen fnm als Moden: fnm = (c/2) knm.

Für drei Dimensionen fahren wir analog fort und kombinieren ka = 1/a, kb = 1/b und kh = 1/h zu
knmp = √{(nka)2 + (mkb)2 + (pkh)2}. Die Grundmode ist wieder f111 = (c/2) k111 und alle übrigen Wellenfunktionen mit Frequenzen fnmp = (c/2) knmp sind Moden. Man erkennt deutlich, dass die Anzahl Moden von 1 zu 3 Dimensionen drastisch zunehmen: Bis zu den Maximalwerten 10 gibt es beziehungsweise 10, 100 und 1000 Moden für unser simples Beispiel mit rechteckigen fixen Rändern.

Abb. 3: Schwingungsmode f32 einer rechteckigen Membran, die in einem Rahmen mit Kantenlängen a und b eingespannt ist. Die Knotenlinien sind rot gestrichelt eingezeichnet. Die von Abb. 1 übernommenen Schwingungsformen sind Aufrisse von der Kante a und b her betrachtet. Die nach oben und unten gewölbten alternierenden Bäuche sind mit + und – bezeichnet. Eine halbe Schwingungsperiode später wären alle + und – vetauscht. Weitere Erklärungen im Text.(Bild: F. Gassmann)

Schwingungen von Membranen

Um die Explosion an Möglichkeiten zu begreifen, die jede höhere Dimension mit sich bringt, betrachten wir zweidimensionale stehende Wellen etwas genauer. Das bekannteste Beispiel ist eine Trommel, deren Grundmode durch leichtes Anschlagen in der Mitte produziert werden kann und einen ausklingenden reinen sinusförmigen Ton ergibt. Bekannterweise können aber auch andere Moden mit höheren Frequenzen angeschlagen werden. Um nahe bei der Saite und beim Badezimmer zu bleiben, möchte ich auf eine unübliche rechteckige Trommel übergehen und untersuchen, welche Schwingungsmoden (auch Eigenschwingungen oder Resonanzen genannt) angeregt werden können und welche Frequenzen diese haben.

Die Grundfrequenz ist wie oben erläutert f11 = (c/2) k11 und für den speziellen Fall einer quadratischen Trommel mit Seitenlängen b=a wird f11=(c/2a)√2. Die Grundfrequenz ist also √2 = 1,414 mal höher als diejenige einer Saite mit der Länge der Trommelkante und derselben Schallgeschwindigkeit.

Aus dieser 11-Grundmode lassen sich unendlich viele weitere Wellenfunktionen sofort konstruieren, wie Abb. 3 am Beispiel f32 zeigt. Bis zur Mode fnn gibt es normalerweise n2 verschiedene Resonanzfrequenzen mit den zugehörigen Wellenfunktionen. Diese lassen sich am einfachsten beschreiben und klassieren mit Hilfe ihrer Knotenlinien, die experimentell sichtbar gemacht werden können, indem man feinen Sand auf die Membran verteilt. Nach kurzer Zeit sammeln sich die Sandkörner auf den ruhenden Knotenlinien, da sie von
jeder anderen oszillierenden Stelle weggeworfen werden.

Benutzen wir eine dünne Metallplatte als Membran, fixieren sie nur in ihrem Symmetriezentrum und lassen die Ränder frei schwingen, wird die Lösungsmannigfaltigkeit noch wesentlich grösser
und interessanter. Der deutsche Physiker und Astronom Ernst F. F. Chladni (1756-1827) hat experimentell eine grosse Anzahl verschiedener Klangbilder untersucht und katalogisiert. Abb. 4 zeigt das Prinzip seiner Experimente: Mit Hilfe eines Geigenbogens hat er die Platte angeregt und durch Berührung der Platte an verschiedenen Stellen deren Schwingungen lokal gedämpft und so Knotenlinien definiert (vgl. Literatur Klangfiguren live). Abb. 5 zeigt eine Auswahl von Chladnis riesigem Klangbild-Katalog speziell für quadratische Platten.

Abb. 4: Illustration eines Chladni Klangfiguren Experiments mit einer im Zentrum fixierten Metallplatte. Je nach dem Ort der Anregung (Geigenbogen) und den Stellen der Dämpfung (Finger) entstehen andere Knotenlinien, die durch Sandkörner sichtbar gemacht werden. Mit der Kombination von verschiedenen Plattenformen, Anregungsorten und Dämpfungspunkten gibt es eine kaum überschaubare Vielfalt an Klangbildern! (Bild: gemeinfrei; commons. wikimedia.org)

Dreidimensionale Schwingungen

Die Frage, weshalb der Badewannentango so schön klingt, löst sich folgendermassen: Erstens sind in einem perfekt quaderförmigen und absolut leeren Badezimmer die Anzahl Moden und damit die Resonanzfrequenzen nicht proportional zur Anzahl Oberwellen n, sondern sie sind proportional zu n3: Für jede Kombination nmp entstehen Resonanzfrequenzen fnmp = (c/2) knmp.

Für Leser:innen, die dies gerne in konkreten Zahlen sehen möchten, nehmen wir ein Badezimmer mit Länge a = 4m, Breite b = 3m und Höhe h = 2,2m. Die Schallgeschwindigkeit ist c = 340 m/s. Die Kehrwerte der Kantenlängen sind ka = 0,25, kb = 0,33 und kh = 0,455. Nun berechnen wir für 1 und 2 alle knmp = √{(nka)2 + (mkb)2 + (pkh)2} und multiplizieren mit 170. Für 111 erhalten wir die Grundfrequenz 105 Hz. Für die 7 weiteren Moden 211,121, 221,112, 212,122, 222 ergeben sich die Frequenzen 128, 143, 161,170, 185, 196, 209 Hertz. Die 8 Resonanzen liegen alle im normalen menschlichen Stimmumfang und der leiseste Ton bei einer dieser Frequenzen wird hundertfach verstärkt. Doch in einem realen Badezimmer gibt es noch viel mehr Resonanzen!

Schon die zweidimensionalen ChladniKlangfiguren zeigen, dass noch viel mehr Moden mit weiteren Resonanzfrequenzen existieren müssen. Denn jede zusätzliche Komplikation der Randbedingungen, wie beispielsweise die Badewanne oder der Spiegelschrank etc. erzeugt viele weitere Moden, sodass schliesslich nahe bei jeder Frequenz eine oder sogar mehrere Moden angeregt werden können und zum bekannten vollen Klang führen.

Es ist nach diesen Überlegungen auch verständlich, dass Streichinstrumente eine komplizierte dreidimensionale Form mit vielen Rundungen aufweisen müssen, um als Resonanzkörper für eine sehr grosse Zahl von Frequenzen zu dienen. Abb. 6 zeigt wichtige Moden einer Gitarre mit den dazugehörenden Resonanzfrequenzen.

Abb. 5: Auszug aus Chladnis Katalog von Klangbildern für quadratische Platten. Bild 63 entspricht unseren obigen einfachen Lösungen mit Produkten von Sinusfunktionen. Die Wellengleichung hat jedoch einen viel grösseren, unvorstellbar reichen Lösungsraum. (Bild: E.F.F.Chladni, Public domain, via Wikimedia Commons)

Die Kunst, Musikinstrumente und Konzertsääle zu bauen

Die Saiten einer Geige bieten zuwenig Angriffsfläche, um laute Schallwellen zu erzeugen. Um
trotzdem ohne elektronische Verstärkung Musik in genügender Lautstärke produzieren zu können,wurde seit Jahrtausenden die Verstärkung durch Resonanz zu Hilfe genommen. Je nach Instrument ist der Resonanzkörper anders ausgestaltet, aber ganz besonders bei Streichinstrumenten hat er die Aufgabe, sehr viele verschiedene Frequenzen zu verstärken, d.h. sehr viele Resonanzen oder Moden zu haben.

Da Moden praktisch immer diskrete, voneinander getrennte Resonanzfrequenzen haben, die
als eine Art Fingerabdruck betrachtet werden können, bekommt jede Geige eine Individualität. Es
erstaunt deshalb nicht, dass begabte Geigenbaukünstler, wie beispielsweise Antonio Stradivari
(1648-1737), Resonanzkörper bauen konnten, die
besonders wohlklingende Klangspektren erzeugen
können.

Dasselbe gilt auch für Musiksääle, die trotz der Anwesenheit von viel schallabsorbierendem Publikum die Klänge des Orchesters möglichst gleichmässig an jede Stelle tragen sollen. Das Design lässt sich heute wohl mit Computern und Schall-Messgeräten optimieren, aber nicht eindeutig bestimmen; es bleibt immer noch eine Kunst, die der New Yorker Russell Johnson (1924-2007) für die Akustik des 1998 eingeweihten Kultur- und Kongresszentrums Luzern
(vgl. Literatur KKL 1998) eingesetzt hat.

In die 46 × 22 × 22 Meter (a × b × h) messende Halle wurden 24 000 quadratische Platten mit einer Kantenlänge von 0,2  Metern eingebaut, welche die Schallwellen in verschiedene Richtungen reflektieren. Durch 50 elektronisch steuerbare Betontüren kann das Saalvolumen um bis zu 30 Prozent vergrössert werden. Diese Echoräume im oberen Teil des Konzertsaales können die Nachhall-Zeit bis auf 3 Sekunden verlängern und ein grosser in der Höhe verstellbarer Schallreflektor über der Bühne ermöglicht zusätzliche Effekte.

Abb. 6: Die wichtigsten Chladni-Moden einer Gitarrendecke mit zugehörigen Resonanzfrequenzen. (Bild: Denis Diderot, CC BY-SA 3.0)

Fritz Gassmann

Literatur und Web-Links

Alexander P. 1962. Badewannentango hören auf: https://www.youtube.com/watch?v=_r3bQzspYHc

Gassmann F. 2023. Resonanz – ein häufiges Phänomen. VJS 168|4: 10-14.

KKL 1998. Akustik erklärt auf: https://www. kkl-luzern.ch/en/dienstleistungen/das-kkl-luzern/ akustik/

Klangfiguren live: https://en.wikipedia.org/wiki/ Ernst_Chladni