Kleine Refugien in der Zürcher Agglomerationslandschaft
Lohnt sich ihr Schutz?
Der Umweltbericht 2014 des Kantons Zürich spricht eine klare Sprache: Die Biodiversität in Zürich nimmt weiterhin ab und wird banaler, sprich zunehmend von weitverbreiteten und häufigen «Allerweltsarten» dominiert. Auf Kosten von spezialisierten Arten, wie etwa vielen Bewohnern von Sümpfen und Mooren, nehmen also die Generalisten überhand. Im Jahr nach dem stolzen 100-jährigen Jubiläum unseres Nationalparks in den Alpen soll an dieser Stelle ein Blick auf ein sehr viel kleineres (und darum für die Schweiz auch repräsentativeres) Schutzgebiet und seine Probleme geworfen werden.
Wissenschaft trifft Behörde: Frank Klötzli (links) zusammen mit Andreas Keel von der Fachstelle Naturschutz (Amt für Landschaft und Natur der Baudirektion des Kantons Zürich). Bild: zVg.
Bei einem Augenschein vor Ort – nur etwa 6 km von der mondänen Bahnhofstrasse Zürichs entfernt, mitten in der Agglomeration, in einem Relikt umgeben von Gewerbezonen, Landwirtschaftsflächen und Wohnsiedlungen, umrahmt von Autobahn, Strassen und Geleisen – stellt sich unweigerlich die Frage: Haben kleine Schutzgebiete überhaupt einen Sinn?
Ein Pionier der hiesigen Umweltwissenschaften, der seit 50 Jahren das Schutzgebiet Moos Schönenhof in Wallisellen beobachtet, gibt Antworten.
Herr Professor Klötzli, Sie sagen, dass auch Kleinflächen wie dem Schutzgebiet Moos in Wallisellen (Fläche ca. 6 ha) eine wichtige Funktion zukommt. Warum?
Die Unterschutzstellung dieses Gebietes erfolgte bereits in den 1930er-Jahren, also in einer Zeit als es im Mittelland erst wenige Schutzgebiete gab. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf den hohen Schutzwert der Fläche – insbesondere aufgrund ihrer hohen Artenvielfalt. Auch in kleinen Gebieten sind Beziehungen zum Beispiel zwischen seltenen Pflanzen und seltenen Insekten möglich. Der Schutzwert wird durch diese Interaktionen quasi potenziert.
Verunmöglicht die zunehmende Isolierung des Biotopes aber nicht einen dynamischen Artenaustausch mit ähnlichen Flächen und gefährdet sie andererseits nicht auch die genetische Vielfalt der Populationen und damit schlussendlich auch das längerfristige Überleben jeder wenig mobilen Art im Schutzgebiet?
Der Austausch von, respektive durch Insekten, Vögel und den Wind findet – wenn auch seltener – selbst bei sehr kleinen Gebieten statt. Und ganz abgesehen davon ist die untere Flächengrenze für spezifische Arten-Interaktionen wie etwa zwischen einem spezifischen bestäubenden Insekt und einer gefährdeten Pflanzenart typischerweise nicht bekannt.
Was sind neben der kleinen Grösse und der mangelhaften Verbindung zu anderen naturnahen Gebieten sowie dem unkontrollierten Schadstoff- und Nährstoffeintrag aus der Umgebung die Hauptprobleme aus Sicht des Naturschutzes?
Gerade bei kleinen Populationen ist naturgemäss vor allem das Auftreten von Pathogenen eine ständige Gefahr.
Interessant. Es heisst aber auch, dass sobald die aufwändigen Habitat-Aufwertungs- und Arten-Fördermassnahmen enden, sich eine «banalere» Natur breit machen wird – Stichwort Verschilfung von Feuchtgebieten. Sind solche kleinen kommunalen Schutzgebiete also bloss optimierte Gärten mit möglichst vielen seltenen Arten als nostalgische Freiluftmuseen längst vergangener Bewirtschaftungsformen unserer Landschaften?
Eine ausgesprochen prätentiös-tendenziöse Formulierung…
…überspitzt? Vielleicht. Aber nicht auf treffend? Gerade einflussreiche Ökologen wie etwa Daniel Janzen propagieren ja sogar eine aktive «Gardenification of Wildlands» für einen langfristigen und wirksamen Biodiversitätsschutz.
Auch grössere Gebiete können sich je nach Vegetation schnell verändern. Invasive Neophyten können zum Beispiel auch dort eine schädigende Wirkung entfalten. Nicht primär die Grösse sondern die Biodiversität und Populationsvitalität sowie nicht zuletzt auch das Diasporenreservoir im Gebiet sind letztlich entscheidend. So sind selbst kleine Gebiete oft erstaunlich stabil, und es kann Jahrzehnte dauern, bis sich eine Veränderung der Vegetation bemerkbar macht.
Ob «Wildnis-Oase», «Natur-Juwel», «Arten-Refugium», «Öko-Paradies» oder gar «Biodiversitäts-Hotspot»: Es herrscht ja wahrlich kein Mangel an positiv besetztem Vokabular für kleine Schutzgebiete. Sind Sie zuversichtlich, dass dieses von den Entscheidungsträgern nicht nur als wissenschaftlich bedeutungsfreie Worthülsen verwendet wird?
Worthülsen sind leider auch eine Folge mangelhafter Definitionen. Die Wissenschaft muss lernen, noch besser mit den Behörden und der Öffentlichkeit zu kommunizieren.
Diese Forderung hört man tatsächlich öfters. Aber was wäre denn aus der Sicht des Wissenschaftlers konkret der dringlichste Wunsch an die kommunalen und kantonalen Behörden sowie an die Gesetzgeber?
Ganz klar die Forderung nach verbindenden Korridoren bei terrestrischen, beziehungsweise nach Kanälen bei limnischen Biotopen – oder sogar Kombinationen von beiden wie dies etwa bei Biber-Vorkommen wünschenswert ist.
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Frank Klötzli war nach seiner Promotion Oberassistent von Heinz Ellenberg am Geobotanischen Institut der ETH und von 1976 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1999 Professor für Angewandte Pflanzensoziologie und Pflanzenökologie an der ETH Zürich. Er ist Autor von zahlreichen wichtigen – und zum Teil sehr umfangreichen – Fachbüchern. Zuletzt publizierte er 2014 zusammen mit Jörg S. Pfadenhauer «Vegetation der Erde: Grundlagen, Ökologie, Verbreitung» im Springer Spektrum Verlag.